„Bühl hat Vorreiter-Rolle gespielt“

Bühl / Altschweier.  Ein Bett, zwei Quadratmeter zum Schlafen und zum Leben, keine Privatsphäre: So leben Flüchtlinge in einem alten Hangar auf der Insel Malta, teilweise über ein Jahr lang. Landtagsabgeordnete Bea Böhlen von Bündnis 90/Die Grünen berichtete am Mittwoch in Altschweier von den Eindrücken eines Besuchs auf der Mittelmeerinsel, während der Bühler Bürgermeister Wolfgang Jokerst über die Situation von Flüchtlingen in der Zwetschgenstadt informierte.

Böhlen ist Vorsitzende des Petitionsausschusses des Landtags und gehört der Projektgruppe „Flüchtlinge“ der grünen Landtagsfraktion an. Im vergangenen Jahr machte sie sich zusammen mit anderen Parlamentariern aus Stuttgart ein Bild von der Situation von Flüchtlingen auf Sizilien und auf Malta. „Wir waren geschockt“, so Bea Böhlen bei dem vom Ortsverband der Grünen und der Grün-Alternativen Liste veranstalteten Informationsabend. Sie zeigte Bilder von einem überfüllten Aufnahmelager in Sizilien, um das herum weitere Flüchtlinge lagerten und auf die Aufnahme ins Lager warteten. „In dieser Zeit bekommen diese Menschen kein Geld, keine Nahrung, keine ärztliche Untersuchung.“ Verärgert zeigte sich Böhlen über die von CDU-Fraktionschef Peter Hauk befeuerte Debatte um die sofortige Abschiebung  abgelehnter Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, etwa aus den Balkanstaaten - selbst im Winter. Mit solchen Aussagen dürfe keine Stimmung gemacht werden, jeder Einzelfall müsse geprüft werden. „Wir schieben rund 80 Prozent dieser Menschen ins Elend ab“, so Bea Böhlen und verwies etwa auf die inhumane Lebenssituation von Roma in Serbien und im Kosovo. „Ich finde es schlimm, dass auf dem Rücken dieser Menschen Politik gemacht wird.“

Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe sind derzeit weltweit über 51 Millionen Menschen auf der Flucht. Die wenigsten davon kommen nach Europa, die allermeisten leben in einem Entwicklungsland. Etwas über eine Million sucht dauerhaft Asyl.  In Baden-Württemberg zählte der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg etwa 26.000 Flüchtlinge, die 2014 gekommen waren und im Land um Asyl baten. Ihre erste Anlaufstelle sind zentrale Heime für die Erstaufnahme, etwa in Karlsruhe. Von dort kommen sie in die Landkreise und Kommunen. „Wir sind hier im Landkreis sehr gut aufgestellt“, so die Einschätzung der grünen Landtagsabgeordneten vor rund 30 Zuhörern in Altschweier. „Da hat Bühl eine Vorreiter-Rolle gespielt“.

In der Zwetschgenstadt leben derzeit gut hundert Flüchtlinge in einer Unterkunft, die die Stadt schon frühzeitig dem Landkreis angeboten hatte. „Wir sind hier in die Offensive gegangen“, so Bürgermeister Wolfgang Jokerst. Zugleich habe die Stadt in Zusammenarbeit mit den Kirchen einen Unterstützerkreis gegründet, der mehr als 80 Mitglieder hat. „Mit diesem Schritt haben wir das Eis gebrochen und andere Kommunen haben auch Gebäude bereit gestellt“, so Jokerst.

Die ehrenamtlichen Helfer kümmern sich um Sprachkurse und helfen bei Behördengängen, bieten Hausaufgabenbetreuung oder Freizeitangebote an. Eine Gruppe repariert Fahrräder, die den Flüchtlingen dann zur Verfügung gestellt werden. Künftig soll es eine Reperaturwerkstatt für Fahrräder geben, in denen die Flüchtlinge selbst mitarbeiten können. Bürgermeister Jokerst berichtete, dass die Stadt zusammen mit dem Landkreis, der Arbeitsagentur und den Handwerks- und Industriekammern einen Runden Tisch ins Leben rufen werde. Ziel sei es, zu prüfen, „ob wir vor Ort Hemmnisse abbauen können, damit Flüchtlinge arbeiten können“.  Der von der grün-roten Landesregierung unterstützte Asylkompromiss hat die Arbeitsbeschränkungen für Asylsuchende gelockert. Als weitere wichtige Aufgabe nannte Wolfgang Jokerst das Gespräch mit den Banken. Bisher bekomme ein Asylsuchender kein eigenes Konto und müsse sein Geld im Heim aufbewahren. Der Bühler Bürgermeister wies darauf hin, dass noch mehr Kräfte für Deutschunterricht nötig seien. Zugleich bemühe sich die Stadt auch darum, Kontakte zu den Vereinen in Bühl herzustellen. 

Wolfgang Jokerst rechnet damit, dass die Stadt Bühl in diesem Jahr weitere Flüchtlinge aufnehmen wird. Die Kosten dafür könne nicht allein der Landkreis und die Kommunen tragen. Allerdings bescheinigte er dem Land Baden-Württemberg, „nicht nur Lippenbekenntnisse“ abzugeben. „Was hier vom Land aus getan wird, ist einfach gut“, kommentierte Jokerst die Unterstützung der grün-roten Landesregierung. 

Yburg